Lieb Vaterland, magst ruhig sein 

 

 

Mein Wehrdienst 1965/66 

Eine persönliche Aufarbeitung 

 

 

 

Hauptbahnhof Mönchengladbach, der Sonderzug setzt sich in Bewegung, das Abenteuer Bundeswehr  beginnt. 

 

11 Stunden Zugfahrt nach Gifhorn folgen, mit viel Frust im Leib. Bin ich doch nun 18 Monate lang von Tanzvergnügen, Beschwingtheit, Mädels und sonstigen Vergnügungen befreit - so mein Gefühl. Alkohol sorgt dafür, dass keine Langeweile aufkommt - bei mir und bei anderen. Die mitfahrenden Ausbilder halten sich wohlweislich mit Befehlen zurück. Noch herrscht fröhliche Anarchie. 

 

Viele Stunden sind vergangen: Bahnhof Gifhorn, tiefe Dunkelheit - es ist Januar, der siebte Tag im Jahre 1965. Lkw fahren vor. Erstmals beschleicht mich das ungute Gefühl, wie es einst Häftlingen bei der damaligen Wehrmacht gefühlt haben müssen. 

Die LKW biegen in ein großes Tor ein. Der Standort: Wesendorf/Südheide, Hammerstein Kaserne, Panzergrenadier-Ausbildungskompanie 13/11, ist erreicht. Ein düsterer Bau, trist und abweisend. 

„Name?“ „Weiter!“… „Name? “ „Weiter!“… „Name?“ „London“ „London...? den Namen merken wir uns.“  Den dunklen Flurschlauch in der oberen Etage erreiche ich leicht torkelnd. Am Ende des Ganges  liegt die Trübnis - meine zukünftige Adresse. Ein schmaler Raum mit 4 Eisengestellen, von einer trüben Deckenfunzel karg erhellt, lädt eher aus statt ein.

 

Tag 2: Eine pfeifende Uniform in der Frühe: „Kompanie Aufstehen!“ Stubentüren werden aufgerissen, ein brüllender UvD (Unteroffizier vom Dienst): “Los, los, aufstehen”... Waschen, ankleiden, Betten machen... Essen fassen". 200 Meter weiter, der große Verköstigungssaal. Mächtige Blechkannen füllen die Tische. Der Duft von "Muckefuck" wabert durch den Saal. Irgendwie findet man Orientierung. 

Marsch zur Kleiderkammer. „Passt, passt, passt…“ Sack voll. Noch bin ich ratlos, was mit den ganzen Klamotten und Utensilien geschehen soll? 

Stubeneinweisung durch einen brüllenden Anweiser: Bettenmachen üben, Wäsche einräumen üben. Das setzte sich in den nächsten Tagen so fort und fort - bis auch der Geist uniformiert ist.

An der Wäsche bildete sich mit der Zeit ein schmutziger Rand, vom steten Glattstreichen. Die Hemden müssen haarscharf und ohne jede Falte liegen. Also möglichst wenig benutzen und mit dem nötigsten an Wäsche auskommen. Beim Stubenappell kommt dann wieder ein zynischer Mensch, der trotzdem alles rausreißt. 

 

Wehrkundeunterricht mit zackigen, milchgesichtigen Leutnante folgt. Alle sehr wichtig auftretend und in ihrem Tun sehr gewichtig. Deren Schreierei ist aber etwas weniger laut. Das überlassen sie dem untertänigen Fußvolk der Unteroffiziersanwärter und den schon etwas mehr Gestreiften. 

Ich, der Panzergrenadier London, fühle mich fortan als arme Sau, die zu nichts anderes taugt, als Fressen und gehorchen, gehorchen und Fressen. So wie die sprichwörtliche Sau. Das Schießgewehr G3 ist fortan meine Braut. Noch wichtiger – vielleicht das wichtigste überhaupt - der Gruß: 

 

 

3.4 Militärischer Gruß  

316. Der militärische Gruß erfolgt in straffer Haltung. Dabei wird die zu grüßende Person angesehen. Gegebenenfalls folgt der Blick der zu grüßenden Person bis zur Schulterlinie. Zum Gruß wird die rechte Hand mit aneinander liegenden Fingern, angelegtem Daumen und der – Fingerspitze des Mittelfingers dicht über der Schläfe schnell an den Kopf oder den Rand der Kopfbedeckung so geführt, dass der Handrücken nach oben zeigt, der Unterarm und die Hand eine Gerade bilden und der Ellenbogen sich etwa in Schulterhöhe befindet. Der Gruß wird durch schnelles Herabnehmen der Hand und gegebenenfalls gleichzeitiges geradeaus Richten des Kopfes beendet.  

317. Wird im Stehen gegrüßt, ist Grundstellung mit Front zu der zu grüßenden Person einzunehmen. Der Gruß ist zu beenden, sobald dieser erwidert wurde oder die zu grüßende Person vorbeigegangen ist. 

 

 

Erster Sonntag: Grauenhaft! Das Licht der Stubenfunzel trübt zusätzlich meine Stimmung gegen Null. Bei dem Gedanken, dass meine Freunde jetzt den Abend bei Beatmusik, Bier und Mädchen genießen, kommen schon zwei oder drei Tränchen gekullert. Da muss ich nun durch! 

 

Drei Wochen später, erster Ausgang. Und zwar deshalb erst, weil uns die oberen Grauröcke vorher kein Benehmen zutrauen wollen. Zivilklamotten streng verboten. Basta! Sauberkeitskontrolle beim UvD - Abmarsch zum Dorf. Um 20 Uhr wieder Anwesenheitskontrolle auf der Stube. Zwischendurch halten dann gefühlte tausend Soldaten um die Gunst der Wesendorfer Damenwelt an. Die „Damen“, 10 - 20 an der Zahl, können ihr Glück kaum fassen. In drei Monaten wird dann wieder zigfache, taufrische Abwechslung erscheinen.

 

Der Kompanieführer schreitet stets im Stechschritt durch das Kasernengelände. Jede seiner Bewegungen ringt nach Eckigkeit. Die Nazizeit kann er aufgrund seines noch jungen Alters wohl nicht mehr mitgemacht haben, doch mein Gefühl sagt mir, dass er diese Jahre gerne hätte. Das Gesicht des Zackigen habe ich nie vergessen. Etwas Ähnlichkeit mit dem späteren Restauranttester Rach aus dem RTL-Fernsehen ist durchaus vorhanden.

 

Karneval im Rheinland: 149 Rekruten dürfen in ihre angestammte Heimat reisen. „London - sie nicht!“ Ich hatte beim „Stechschritt“ auf dessen Frage, wie ich mir das Leben bei der Bundeswehr vorstelle eine weniger soldatische Antwort abgeliefert. So bleibt Rekrut Nummer 150 an den “Tollen Tagen” Bewacher der leeren Fensterhöhlen. Ich schaffte es dann doch noch, ein wenig Karneval in Gifhorn zu feiern. Auf Schleichwegen.

 

 

Die Ausbilder halten ihre Mannschaft an, doch „fördernd“ auf störrische Kameraden einzuwirken. Wenn dann ein praktizierender Boxer, der zudem jedes Wochenende verlängerten Sonderurlaub haben möchte, dir drohend die Faust auf die Schulter legt, hast du kapiert (auf Schiffen soll das mit einem Tauende geklappt haben). Die übliche Kameradschaft eben. Da bleibt die eigene Faust lieber in der Tasche stecken. Allerdings gab es auch Kumpel - wenn auch wenige - worauf man sich fest verlassen konnte. 

 

Schlammbäder in der umgebenen Heide verordnen die schreienden Uniformen besonders gerne. „Hinlegen - aufstehen - hinlegen - aufstehen…“ Nicht mit mir! Mal sehen, wer länger aushält. Diejenigen die sich freiwillig im Matsch suhlen, haben dann die abendliche Freizeit mit Kleiderwaschen auszufüllen. 

 

Formalausbildung: Die langweiligste, die bescheuertste, die hirnrissigste Beschäftigung überhaupt. Stundenlang! Ich werde fast wahnsinnig und zweifele am Sinn des Lebens. “Die Augen links... im Gleichschritt marsch... Kompanieee stillgestanden!” Selbst im Tierreich scheint es mehr Normalität zu geben.  In früheren Kriegen marschierte man noch per Gleichschritt in den Tod. Da ist wohl noch sehr viel Nostalgie hängen geblieben. 

 

Camping bei der Bundeswehr sieht anders aus, als ich es  als Jugendlicher zuhause erlebt hatte. Im Nassschneewetter geht es hinaus in die Einöde der Heidelandschaft. Zwei Tage sind geplant. Jeder Soldat hat eine Zelthälfte im Rucksack. Die teilt man sich mit einem Kameraden – und gemeinsam baut man daraus ein Zweimannzelt. Im Sommer vielleicht romantisch. Doch bei einer Temperatur kurz an die Null und extremer Feuchtigkeit ist noch nicht mal ein Hauch von Abenteuerromantik zu spüren. Wer schon mal mit feuchten Socken und bei elender Temperatur eine Nacht überstehen musste, weiß Bescheid. 

 

Löcher graben im Heideboden ist eine weitere Beschäftigung, die mich (ver)zweifeln lässt. Stunde um Stunde und länger. Der Feind wird aus Richtung Osten erwartet. Die Zonengrenze ist nahe, nur wenige Kilometer entfernt, und die Kommunisten haben Böses im Sinn - sagt man uns. Zum Glück ist der Heidesand recht locker; und der Feind wird somit erträglicher. 

 

Grußabnahme! Nun wird es ernst. Nach wochenlangem Probegrüßen erwartet uns das Finale. Ein trüber, nasskalter und windiger Februarmorgen.  Wir marschieren an einen Oberst vorbei, in Stahlhelm eingefasst und recht dickbäuchig, der das von uns wochenlang geübte Prozedere nun offiziell und mit rechter Unlust abnimmt. Hat es dich nun gepackt… bist du nun reif...  frage ich mich besorgt? Oder ist es doch nur der kalte Wind, der dir die Feuchte in die Augen treibt? Jedenfalls spüre ich so etwas wie Ergriffenheit? Es ist dann doch nur ein einmaliger, unkontrollierter Ausrutscher meines geistigen Innenlebens gewesen. Nächsten Tages bin ich wieder geheilt - für immer. 

 

Wenige Wochen weiter erfolgt das Gelöbnis. Alle Soldaten der verschiedenen Einheiten sind im großen Karee inmitten der verschiedenen Unterkünfte angetreten. Die Wehrpflichtigen geloben, die Freiwilligen sprechen die Eidesformel. Ich bin mir ganz sicher, nur die Lippen bewegt zu haben. 

Das stand mir jetzt aber auch zu.  Bin ich doch gerade 21 Jahre geworden - also volljährig. Leider, leider hat das bei unserer Bundeswehr wenig Bedeutung - also minderwertig.

 

Nach knapp drei Monaten, es ist Ende März, und fast schon liegt Frühling in der Luft, ist  die Grundausbildung  Geschichte. Panzergrenadier London steigt wieder auf die Pritsche eines Lkws. Nordwestwärts geht es nach Achim, nahe Bremen. Wir erreichen die Steuben-Kaserne. Hier sieht alles etwas freundlicher und heller aus. Die Gebäude scheinen noch recht neu.  

Sieee…, sie gehen sofort zum Frisör.“ Ein brüllender Offizier mit sarkastischen Zügen bereitet mir den Empfang.  

Zum Glück bleibe ich nicht in der Stabsbatterie. Ich werde weiter gereicht zu einer Kampfbatterie. Nun gehöre ich zur Flugabwehr und nenne mich fortan Kanonier London. Nächsten Tages - meine Akte wurde wohl noch mal gesichtet - werde ich noch mal weiter gereicht. Ich komme endgültig zur Versorgungsbatterie. Zum Glück… hier geht es alles etwas lascher zu.  Munition, Sprit - und im weiteren Kfz-Reparatur - sowie Verpflegung und Sanitätswesen sind in der 6. Batterie beheimatet. Fortan keine Formalausbildung mehr, ganz selten Wache. Herumgammeln und Sonnen im Munitionsdepot werden zur Hauptbeschäftigung.   

 

Die „Vorgesetzten“ bilden eine Mischung aus Alt-Nazis, teils arbeitsscheuen Alkoholikern und aus intelligenzgeschwächten Volltrotteln. Manchmal aber auch eine Mischung aus der gesamten Sortierung. Klingt jetzt sehr hart, kommt der Wahrheit aber bedenklich nahe. Hier fordert das Sprichwort sein Recht: "Und hast du keinen Anzug mehr, dann geh` zur Bundeswehr". Zur Ehrenrettung: es gab auch ein paar prima Kerle darunter. Alles in allem, sie hatten gerne ihre Ruhe! Jedenfalls wirkt das Schreien nun gedämpfter. Nun ja, der kleine Spieß hat seinen Mund etwas größer. Kleine Leute protzen halt gerne. 

 

Da mir noch die eigentliche Zuteilung fehlte, durfte ich den Führerschein Klasse 3 machen. Mehr traute man mir wohl nicht zu? Sechs Wochen später: Bestanden! 

Man schiebt mir einen Jeep unter. Zu meinem Glück, wie ich noch feststelle. Hauptsächlich sollte ich als Fahrer des Zugführers dienen. Doch das geschieht meistens nur auf Übungen. Schlimm wurde es allerdings, wenn es dazu auf mehrstündiger Fahrt zu Ostsee geht. Dann hatte ich das gesamte Repertoire an Nazi-Liedern zu durchleiden. Da war mein Zugführer schon ganz nostalgisch gesinnt.

 

Die Ostsee, die ich erstmals in meinem Leben sah, war schon ein Highlight. Wir als Versorgung hatten das große Los gezogen. Morgens Munition zu den Geschützen bringen, abends die leeren Kartuschen abholen. Die Kantine auf dem Gelände hatte die Größe eines Bierzeltes - wie jene auf der Oktoberfestwiese. Ganztägig geht es hier bierselig zu. An den Wochenenden, wenn nicht geschossen wird ist dann auch Badefreude angesagt. Etwas abseits des Geländes, in der Hohwachter Bucht, gibt es ein FKK-Gelände. Die Schaulust bleibt dann aber jeweils kurz. Zu viele Soldaten wollen zuschauen - die FKKlerinnen flüchten. Im folgenden Winter, bei extremer Schneelage, eine weitere Übung. Nun allerdings ohne FKK. 

 

Im Kasernenalltag  freute ich mich auf jeden Fahrbefehl am Morgen. Mal orderte man mich nach Bremen, mal nach Ostfriesland, mal nach Hamburg oder sonst wohin. Auf Abwegen machte ich an warmen Tagen stets einen Badesee aus. Die Badehose ist sowieso immer dabei; und so hatte ich Mitte Mai bereits Mallorcabräune. 

 

Nein, unzufrieden bin ich nicht! Auch nicht, als ich sechs Wochen lang im Winter einen Hauptgefreiten-UA (der Menge Uniformstreifen wegen, werden diese Natozebra genannt), zum Bremer Zentralbad karren muss. Er, das "Natozebra", wartete auf Beförderung – und das schon acht Jahre lang. Er war des Schwimmens nicht mächtig. Zwar kann er noch einiges mehr nicht - doch egal, so war für mich auch der Winter mit Baden ausgefüllt Im Sommer war es öfters die Weser, schön durchflossen im benachbarten Örtchen Baden.

 

Der Spieß, ein mickrig kleiner und gemeiner Giftzwerg, der mochte mich so ganz und gar nicht; besonders weil ich es vorzog, stets nach 24 Uhr in die Kaserne zurückzukehren – und dann gezwungenermaßen über den Zaun. Dreiviertel meiner Zeit durfte ich deshalb an Samstagen oder Sonntagen Feuerwache schieben. Das geht ins Geld. Stubenhockende Kameraden lassen sich die Vertretung mit 1,50 – 3 DM entlohnen. Die norddeutschen Kameraden haben fast nie Feuerwache. Diese verstehen die Kunst des Arschkriechens und Antragens ganz gut. Nein, natürlich nicht alle...

 

Mein Umkreis besteht aus etwa  10 – 20 Leuten. Mit diesen kann man dann auch (fast) jeden Scheiß anfangen. Sie nehmen dir so schnell nichts krumm, weil ähnlich durch den ganzen Militärkram gefrustet. Durchweg Leute aus dem Rhein/Ruhrgebiet. So wird aus der Langeweile doch häufig Kurzweil. Für die jeweiligen Weihnachtsfeiern der einzelnen Batterien werden Freiwillige zur Bedienung gesucht. In Erwartung eines schönen Festessens und samt Glühwein, melde ich mich als Bedienung. Der Abend sieht dann so aus: die ganze Zeit ein freundliches Gesicht machen und die Leute fleißig bewirten und Bitte/Danke sagen. Zu meinem Graus bin ich dazu eingeteilt, die höheren Dienstgrade zu bewirten. Zum schlechten Ende hin sieht es dann so aus, dass wir, die Bedientruppe, keinen einzigen Bissen und keinen einzigen Schluck abbekommen. Noch nicht mal ein Dankeschön! Nun kommt Frust auf. Der Frust ist so groß, dass wir mit dem aus der Küche herangeschafften Rest-Glühwein eine Schlacht veranstalten. Jeder mit einer Blechkanne bewaffnet, lässt die nagelneuen Uniformen (wir hatten gerade von den dunkelgrauen Anzügen auf hellgrau gewechselt) anschließend rotweinfarben aussehen. 

 

Disziplinarstrafen hatte ich schon einige gesammelt - meist aus fadenscheinigen Gründen. Man wird zum Kompaniechef oder auch zum Spieß befohlen, hat stramm zu stehen, die Verfehlung wird vorgelesen – das wars. Nichts Schlimmes an sich - doch meistens wird eine Geldstrafe verhängt. Diese ist dann auch das eigentliche Schlimme. Denn beim äußerst karg bemessenen Wehrsold trifft es die empfindlichste Stelle - das Portemonnaie. Unter den Schirmmützen der Vorgesetzten bemerkt man hämisches Grinsen. 

Disziplinarstrafen wirken sich auch sonst negativ aus. So werde ich erst nach neun Monaten zum Gefreiten befördert. An sich auch nicht schlimm für mich, lege ich doch keinen Wert auf solche Äußerlichkeiten. Jedoch ist eine Beförderung mit erhöhtem Wehrsold verbunden. Gut, auch dieser Kelch geht mir am Hintern vorbei. Als ich mich dann weigerte, meine Gefreitenstreifen an der Uniform anzunähen, soll eine weitere Disziplinarstrafe folgen. Diesmal habe ich ein Einsehen... 

 

 

Das liebe Geld ist das eigentliche Problem der ganzen 18 Monate: Zu Anfang geht es noch. Man hatte sich ein gewisses Quantum angespart, Freunde hatten auch etwas ausgeholfen – entweder Bares oder Zigaretten – doch nach dem Grundwehrdienst waren auch die Vorräte weg. Meine Mutter war Witwe mit sechs Kindern. So war von ihr auch nur wenig zu erwarten (was ich aber auch nicht wollte).  So habe ich meine Heimat wohl nur etwa sechsmal während der 18 Monate besucht. Eine feste heimatliche Freundin hatte ich mir wohlweislich während der Militärzeit nicht zugelegt. Vierhundert Kilometer Trennung würden Schwierigkeiten beiderseits bereiten. So war es nicht schlimm für mich, auf Heimfahrten zu verzichten. Meistens war dann auch nach zwei Wochen Wehrsoldausgabe Ebbe in der Kasse. Wohlbegüterte “Kameraden” liehen dann eben aus – gegen Zinsen.  Auf Dauer ein unschönes Spiel. Doch dieses Spiel teilten viele mit mir. Da ich derzeit noch starker Raucher war, stellte ich mich nach und nach auf Tabak um. Das Selbstdrehen wird so irgendwann zum Pausenfüller. Ich lerne einteilen. Biertrinken und sonstige Alkoholika werden nun in kleinen Schlucken genossen. Damals war es unter Männern noch üblich, Frauen zum Getränk einzuladen. Es galt, diese Prozedere gering zu halten. Also wenn Freundinnen, dann möglichst wochentags, und dann beim weiblichen Zuhause. 

 

Da ich offen meine Meinung zum Töten sagte, machte mich nicht beliebter. Das wollte so mancher Vorgesetzter nicht hören, als ich Schießhemmung für mich beantragte… was Menschen betraf. Verwunderlich nicht, da einige Ausbilder noch in der Wehrmacht gedient hatten. 

Ein „Kamerad“ aus dem Rheinischen hatte da weniger Hemmungen, als er mit durchgeladenem Gewehr auf mich zielte. Beim Übersteigen des Kasernenzaunes.  

 

So rinnt die Zeit dahin. An den Wochenenden Besuch der Tanzkneipen – falls möglich, und falls das Geld  reicht; wochentags Besuch bei einem lieben Mädchen, weil das Geld nicht reicht.  

Hin und wieder gab es NATO-Alarm. Dieser erfolgte plötzlich und ohne Vorahnung am Abend. Mit einem riesigen Tamtam wurde die ganze Kaserne mobil gemacht. Mit Sturmgepäck und Gewehr geht es per Fahrzeuge zu einem fiktiven Einsatzpunkt. Nach einer Weile untätigen Wartens erfolgte dann wieder die Heimfahrt. Wäre da nicht der “Deutschen Soldatensender” gewesen. Dieser hatte seinen Sitz in Ostberlin – also DDR. Sinn und Zweck war es, die Wehrkraft der Bundeswehr zu zersetzen. Dies geschah dann so, dass sie schon einige Tage im Voraus ankündigten, wann der NATO-Alarm ausgerufen würde. Ein jeder sah dann zu, an diesen Abenden außerhalb der Kaserne zu sein - möglichst in einer abgelegenen Gaststätte. Die bekannten Gaststätten wurden nämlich auch aufgesucht und die Soldaten zur Kaserne beordert. Das hatte dann zur Folge, dass die Bundeswehr mehrere mögliche Termine einplante. Und so kam auch der Soldatensender als Warner nicht mehr zuverlässig nach. 

 

Die letzten drei Monate brachen an. Dann hatte ich die Idee, mal etwas Abwechslung in den drögen Alltag zu bringen. Der Soldatensender sollte auch hier helfen. Da er zur Sendezeit stets heiße Beatmusik brachte - und deshalb von sehr vielen Soldaten gerne gehört wurde - vermittelte er neben allgemeiner Wehrkraftzersetzung auch Brieffreundschaften. Also mache ich zwei weitere Stubenkameraden heiß, den Sender anzuschreiben. Als unsere Bitte um Brieffreundschaft im Radio gesendet wird, geht wenige Tage später die Post ab. Das heißt, jeder von uns bekommt stoßweise Briefe. Oft mit Foto und Bitte um Kontakt. Ein guter Teil der Damenschar schreibt aus der DDR. Doch auch einige, die aus der näheren und weiteren Umgebung unseres Standortes kommen. Ich habe dann mit jenem Mädchen, das mir auf den Fotos die angenehmste Erscheinung vermittelte - und zum Glück auch nicht allzu weit weg wohnte - Kontakt aufgenommen. Der Kontakt geschah dann an einem Sonntag im Mai in der Kaserne. Ein Gegenbesuch folgte... und weitere nach meiner Dienstzeit. 2017 feierten wir unsere Goldhochzeit. 

 

Natürlich mochte die Standortverwaltung überhaupt nicht, dass wir Kontakt mit der DDR hatten. Es folgen Vernehmungen bei der Kommandantur. Anhängen konnten man uns endlich nichts. Doch eine gewisse Wut bleibt hängen. Als wir kurz darauf Tor- und Zaunwache haben – eben deshalb – ziehen wir gemeinsam mit knallroter Krawatte auf Wache. Wenn sie uns schon wie Kommunisten behandeln, dann wollen wir auch so aussehen. Der Offizier vom Dienst hat es noch nicht mal bemerkt. Nun ja... 

 

Soldaten gehen, Soldaten kommen. Und irgendwann sind die 18 Monate und drei Tage überstanden. Ja, man war mir „wohlgesonnen“… und wollte mich deshalb gar nicht mehr gehen lassen… 

Das war so: Friedel, ein bärenstarker Kumpel aus Duisburg, hatte sich stark alkoholisiert mit einem Offizier angelegt. Die Folge:  Er erhält fünf Tage Arrest. Und da ich mit zugegen war, ebenfalls fünf Tage Arrest. Meine Unschuld wurde erst gar nicht zur Kenntnis genommen. Wichtig war für die Grauberockten, mir noch einen auswischen zu können. Ein weiterer, der "Magier" (er hatte die Gabe, alle möglichen Leute in Hypnose versetzen zu können - was ihm auch meistens gelang) hatte ebenfalls eine Strafe abzusitzen. So zogen unsere übrigen Kameraden zum Tor hinaus... und wir zum Knast am Tor ein.  

Wir haben die fünf Tage gut überstanden. Bier und Hähnchen mit Pommes wurden vom jeweiligen Kraftfahrer vom Dienst herbeigeschafft. Die Heimreise wird dann doch noch sehr hart. Mit Friedel verbringe ich weitere vier Tage damit,  die Heimat wieder zu finden. Nun ist Schluss! 

 

Nachgedanken: Natürlich sehe ich die Welt heute anders und gelassener, als zu meiner Jugendzeit. Ich habe die Einrichtung Bundeswehr nie als solche verdammt. Die Welt ist böse – und dazu gehört Verteidigung. Erbärmlich fand ich allerdings so manche Menschen dort. Diese gibt es zwar überall – doch in Uniform durften sie sich austoben. Laute, schreiende und großkotzige Menschen habe ich nie gemocht – auch heute noch nicht. Doch anders als damals, kann ich sie heute besser einschätzen. Im Grunde oft charakterschwache und arme Würstchen, die psychische Hilfe benötigen. Als Querdenker (im Sinne des Wortes) bist du chancenlos bei staatlich organisierten Einrichtungen. Dann bist du nur noch der Querulant – mit allen Folgen. Gib Menschen Macht oder eine Uniform, und du kennst sie nicht mehr wieder. Nur Funktionieren war nie mein Ding. Ob es bei der heutigen Bundeswehr ähnlich zugeht, entzieht sich meiner Kenntnis. 

Nun, ich habe eine gute Portion Humor - auch Galgenhumor – und auch viel Durchhaltevermögen. Und wenn es nötig war, konnte man sich auf mich verlassen. Ich habe Norddeutschland kennengelernt… und manches mehr. Viele Charaktere erlebt – gute und weniger gute. Das ruhige Vaterland ist mir das liebste. Deshalb – Schwamm drüber!