Cuba  Oriente



Regen! Mit vierstündiger Verspätung setzt uns unser Flieger sanft auf Kuba auf. Nur spärliches Licht erhellt den Provinzflughafen Ciego de Avila. Der erste Eindruck im Reich des „Realen Sozialismus" ist also nicht der freundlichste. Doch als sich die Flugzeugtür öffnet, ringt die schwülwarme Luft unserer ermatteten Psyche doch ein Lächeln ab. Deutschland hatten wir in der trüben Stimmung eines feuchtkühlen Novembertages verlassen, hier ist es auch feucht - aber warm.

Für Kuba hatten wir uns nach reiflicher Überlegung und allen Abwägungen entschieden. Fidel Castro hatte bereits ein Alter erreicht, wo man annehmen durfte, dass sein System nicht mehr so sehr lange im gegenwärtigen Zustande fortbestehen würde. Als wollten wir den sozialistischen Inselstaat noch in möglichst unverfälschter Form vorfinden und erleben dürfen.
Meine Frau und ich schieben sich mühsam der Passkontrolle entgegen. Wir dürfen so in etwa die Rangfolge 180 bis 200 im Rückstau der Passagiere erwischt haben. Der grimmig dreinblickende Einreisebeamte bemüht sich, keine weitere Regung zu zeigen. Er blickt auf zu mir, blickt lange in meinen Reisepass, blickt auf zu mir, keine Regung…, blickt in den Reisepass, lange, schaut mich wieder prüfend an, lange… dann mit einer etwas rascheren Bewegung und fast mit Liebkosung drückt er den Stempel in meinen Pass. Eine winzige Regung freundlicher dann, bedeutet er mir wortlos, dass ich Kuba betreten darf. Unser Gepäck hatte nach deren Ausgabe weitere prüfende Blicke zu erdulden. Ein paar wohlbeleibte junge Damen wühlen - nicht unfreundlich, aber doch sehr gewissenhaft - unsere Habe durch. Dabei interessiert sie wohl eher weniger, ob Verbotenes in den Koffern ist. Die frauliche Neugier scheint darauf gerichtet, was das weibliche Geschlecht in Deutschland unter den Kleidern zu tragen pflegt.

 

Neunzig Einreiseminuten weiter... Nach und nach füllte sich der Bus, der uns zu unserem Rundreisehotel verbringen soll. Kaum haben wir die Umgebung des Flugplatzes verlassen, umhüllt uns eine Schwärze, wie ich sie noch niemals in bewohnbaren Bereichen meiner bisher bekannten Welt gesehen hatte. Keine Laterne, kein entgegenkommendes Auto. Einfach nichts! Nichts als dunkle Nacht. Erst als wir in den Hotelbereich einbiegen und somit an den Rand des Städtchens Moron gelangen, fällt der fahle Schein der Außenbeleuchtung auf eine Gruppe schwarzhaariger Schönen - etwa zehn an der Zahl. Nun wissen wir es endgültig, hier beginnt Kuba. "Cuba olè!" rufe ich ihnen zu. Und vielstimmig echot es: „Cuba olè, si!" 

 

6 Uhr morgens! Die Nacht haben wir fast schlaflos verbracht und dämmern den beginnenden Tag entgegen. Plötzlich ein grässliches Geräusch? Spontan richten wir uns in den Betten hoch. Nun erinnere ich mich, gelesen zu haben, dass der Hahn das Wahrzeichen Morons sei. Allmorgendlich um Punkt 6 Uhr erschallt das heisere Krächzen, aus dem als Uhrenturm umfunktionierten Moron-Hahn. Der Himmel nimmt nun rasch die Farbe einer tief errötenden Jungfrau an. Schleunigst greife ich nach einer meiner Kameras, um mir nun endlich das erste wirkliche Bild von Kuba machen zu dürfen. Ich bin überaus neugierig, was mich erwartet. Am Ende des Hotelflures habe ich einen freien Ausblick. Eine tiefrote Sonne schiebt sich durch Palmzweige hindurch und befriedigt mein geistiges Bild dieses Landes wunschgemäß. Ja, so hatte ich mir das karibische Kuba vorgestellt. Mein erster Blick ist somit auf Film gespeichert.

Da wir uns über die Stadthotels, deren Unterkunft und Beköstigung keine Illusionen gemacht hatten, beginnt unser erster Tag durchaus annehmend freundlich. Eine Kutsche bringt uns ins angrenzende Städtchen. Das Leben pulsiert. Alle Bewohner scheinen unterwegs, und alle bewegen sich irgendwie ziellos. Sie steuern Läden an, deren Regale mit Leere gefüllt sind. So ähnlich sah es im Nachkriegsdeutschland aus. Nur wenige wirken griesgrämig. Die meisten Kubaner scheinen ein heiteres Gemüt zu haben. Diesen Eindruck gewinnen wir schon bald. Der wiegende Schritt der weiblichen Bevölkerung lässt viel Deutung zu. Fantasie, nimm deinen Lauf… Überall begegnen wir freundliche, fragende und neugierige Blicke. Keine Bettelei, kein Handaufhalten. Lediglich aus den Kinderaugen spüren wir ein „Bitte" herauszulesen. Wohl wissend, dass wir ein abgeschottetes „Reich" des Sozialismus betreten, wissen wir auch um die Unzulänglichkeiten diese Systems. Es ist beileibe nicht alles Gold, was wir im äußerlich fidelen Reich  „Fidels" antreffen. Armut ist vorhanden – viel Armut! Die Häuser marode, die Menschen bewegen sich in ärmlicher Kleidung – aber durchaus sauber anschaubar. Die Straßen sind es auch. Was gäbe es hier wegzuschmeißen? Die Straßen auf dem Lande hingegen erwecken den Eindruck einer Bombardierung. So manches Mal verlässt der Busfahrer mit seinem Gefährt die Straße, um im angrenzenden Gelände eine bessere Fahrspur zu finden.

Der Bus samt DDR-erfahrenen Reiseleiter schaukelt uns durch endlose Zuckerrohrfelder. Wenige Königspalmen thronen über dem grünen Pflanzenmeer. Kuhreiher bilden weiße Punkte in der Natur. Die Klimaanlage des Busses ist auf Frösteln eingestellt. In mir macht sich während der Weiterfahrt nun doch eine leichte Enttäuschung breit - was die Natur betrifft. So sah mein geistiges Kuba doch nicht aus.

Wir fahren tiefer in den Ostteil der Insel hinein, erreichen schließlich die Stadt Camagüey. Marode Häuser - wie gehabt; neugierige Menschen - wie gehabt. Außerhalb der Stadt erreichen wir kurz vor der nun rasch einfallenden Dunkelheit eine Bungalowanlage. Kleiderschrank auf - eine Eidechse glotzt mich an, und flieht flink vor dem unerbetenen Störer weg. Der elektrische Strom verabschiedet sich nun auch, die Klimaanlage somit ebenfalls. Das Duschen fällt also flach, das Schwitzen wird tropischer. Nach einigen Anrempeleien mit der Möblierung, finde ich tastend meine Taschenlampe. Somit ist zumindest der Kleiderwechsel fürs Abendessen ermöglicht.

In der „Villa Kunterbunt" ist dann alles viel besser - etwas luxuriöser. Schmackhafteres Essen und  gute Getränke gibt es hier auch. „Villa Kunterbunt" taufe ich spontan das Hotel ob seiner Buntheit. Weithin sichtbar leuchtet der in Blau und Rot gestrichene 15stöckige Koloss aus dem Häusermeer von  Santiago di Cuba. Auf Santiago bin ich schon sehr gespannt. Diese Stadt ist für mich das eigentliche, das ursprüngliche Kuba. Die Bevölkerung - meist dunklerer Hautfarbe - bewegt sich durch die schwülheiße Stadt in einer behäbigen Gangart, die fern jeder Eile liegt. Der Schritt ist wiegend. Die Bewegung der Pobacken - der weiblichen - ist rhythmischer Natur. Hier sind die Wurzeln des musikalischen Kubas zuhause. Wir sind im wahren, echten Kuba angekommen. Sorgsam sind die Einschusslöcher in den Mauern der Moncada-Kaserne gepflegt. Castros erster Versuch Kuba zu übernehmen, war hier kläglich gescheitert. Die Sibonay Farm, etwas außerhalb, gehört zum Pflichtbesuch eines jeden Kubaners – sofern er das System unterstützt. Castros Männer, samt dem guten alten Che, hielten sich hier im Hühnerstall der Farm versteckt. 

Der Pedant zur Tropic-Show in Havanna ist in Santiago. Die Show soll  ebenso schön sein, sagt man? Und sie ist wirklich eine Farbenpracht. Die Tänzer und Tänzerinnen verursachen eine bombastische Stimmung. Leider ist die Tonanlage so alt, dass sie ganz gut mit einer tausendköpfigen Schar krächzender Papageien mithalten könnte. Diese Lautstärke grenzt an Körperverletzung. Doch dafür habe ich ein probates Mittel: ich schlafe einfach ein. Das schaffe ich wunderbar… auch bei lautester Musik. Ganz sicher ist aber auch die noch nicht überwundene Zeitverschiebung mit schuld. Vielleicht ist es aber auch nur der gute Rum…

 

Von der Dachebene unseres Hotels habe ich eine wundervolle Aussicht auf die noch müde daliegende Stadt. In einiger Entfernung, inmitten Palmen, leuchtet ein Riesenrad vor dem aufgehenden Sonnenball. Santiago beginnt zu dampfen! Stramme Jungs, auch Mädels, schreiten im Stechschritt zur Wachablösung am Grabe Jose’ Martis, Kubas Nationalheiliger. Zu jeder halben Stunde geht es mit einem enormen Lautspechergetöse erneut los. Und die Sonne scheint wie versprochen ewig auf Martis Gebeine. Inmitten weißen Marmors wirkt der Tod fast heiter auf dem Cementerio Santa Ifigenia, dem großen Friedhof Santiagos. Viele Martinis, Barcadis und sonstige Größen alter kubanischer Wertordnung liegen hier begraben. Wir besuchen das Bergland der Sierra Maestra im weiteren Umkreis Santiagos. Alles ist mit einem Hauch Geschichtsträchtigkeit behaftet. Castro und seine Gefährten der Revolution starteten von hier aus zum Sturz des verhassten Batista-Systems. Der gute alte Che schaut in allbekannter Lockenpracht ohnehin hinter jeder Biegung in den Himmel.

 

Santiago lassen wir zurück und steuern Richtung Norden fahrend die Stadt Holguin an. Da wir unweit Santiagos schon mal in den warmen Karibikwellen gebadet hatten, kommt nun der Vorschlag des Reiseleiters, einen der berühmten Atlantikstrände anzusteuern. Guardalavaca ist das Ziel. Es ist Nachmittag, die Sonne neigt sich schon ein wenig zum Abend hin. Wir schaukeln durch ein wundervolle Hügel- und Berglandschaft, inmitten wogenden Grases mit friedlich grasenden, wiederkäuenden Rindern. Vereinzelte Königspalmen ragen in den seidenblauen Himmel. Ein Bild biblischen Friedens. Hierher möchtest du wieder hin, hier habe ich mein Kuba endlich gefunden, hier kommt deine Sehnsucht zur Ruhe… so spricht meine innere Stimme. Der Strand in Guardalavaca ist breit und schön, viele knorrige Bäume geben Schatten. Alles wunderbar, doch nichts gegen die wundervolle Natur draußen. Schade, schade, murmele ich, weil auf der Rückfahrt die Sonne schon hinter den Hügeln verschwunden ist. Rasch senkt sich die Dämmerung hernieder.

Cajo Coco ist unser „Faulenzerziel". Die Cajos sind eine vorgelagerte Inselgruppe. Fast noch unberührt vom Tourismus. Mitten durch die seichten Mangrovengewässer führt ein kilometerlanger Damm zu unserer auserkorenen Insel. Soeben hatte hier das zweite Hotel der Insel die Tore geöffnet. Alles riecht noch ein wenig nach Farbe, das Personal noch unsicher in der Bewegung und Bedienung. Ein paar herrlich weiße und weitläufige Strände locken zur Muße. Das Inselinnere hat eher weniger zu bieten. Den Festlandkubaner hält man wohlweislich von den Touristen fern. Dem kapitalismusentwöhnten Kuba geht es nicht gut. Für uns Touristen hingegen ist Geld hier fast überflüssig. Es gibt fast nichts, wo wir es auslegen könnten. All inclusive! Wir schreiben das Jahr 1997!

 

Ein Jahr später sind wir wieder auf Kuba. Wieder im Osten. Und es folgten weitere vier mal Kuba – immer der Osten. Im Westen und im oft gelobten Havanna waren wir auch - kurz. Doch das war nicht unser Kuba. Das wirkliche Kuba war hier unten im schwülheißen Santiago, oder in Baracoa. Und immer wieder erkundeten wir unser geliebtes Hügelland, unser Paradies im Dreieck Banes, Holguin und der Atlantikküste. Mit einem ausgeliehenen Motorroller stolperten wir über die steinharten, von Karren ausgefahrenen Landwege. Versackten dort manches Mal im Morast nach heftigen Regenfällen. Und immer wieder entdeckten wir auch noch in den tiefsten und hintersten Winkeln einsame, bewohnte Hütten. Die Bewohner ärmlich dort. So ärmlich, dass es manchmal  weh  tat. Doch die Menschen schienen nicht so unglücklich, wie wir es vermuteten. Nein, oft waren sie von ansteckender Fröhlichkeit. In vielen dieser mit Palmzweigen belegten Bretterhütten wurden wir eingeladen. Jede Schrebergartenlaube in unseren Breiten wäre ein Luxustempel dagegen. Oftmals wurden Adressen ausgetauscht. Und so mancher Brief aus dem fernen Kuba erreichte uns später in Deutschland. Bei der nächsten Reise stand dann wieder ein Besuch an. Manchmal war es richtig schwer, die Leute wiederzufinden. Karten, die uns hätten Orientierung geben können, gab es nicht. Eine besondere Freundschaft entwickelte sich im laufe der Jahre mit der Familie Gonzales. Eine Kuh, ein Schwein, Ziegen und etwas Federvieh waren deren Habe. Zweimal wurde uns zu Ehren ein Schwein geschlachtet und am Spieß gedreht. Wir hätten es gerne Ungeschehen gemacht. Wussten wir doch, wie entbehrungsreich nach so einem Festtag das Leben dort wieder sein würde.

Geändert hat sich derweil schon manches im Lande – zum Negativen. Schnell entdeckte man die scheinbar nie leer werdende Geldbörse des Touristen. Die Bettelei hat zugenommen. Das Anpreisen gewisser Damen wurde offensichtlicher. In Santiago wurde meiner Frau am helllichten Tage die Halskette entrissen. Und das Hotelpersonal lernte auch rasch, Hemmungen abzulegen. Doch dann blickten wir immer wieder in glücklichen Kinderaugen… wenn es kleine Geschenke gab; aber auch, wenn es keine Geschenke gab. Kuba befindet sich im Wandel. Der greise Castro ist gesundheitlich schwer angeschlagen, das Land krankt mit. Doch nun sieht man auch Modernisierung. Allerorten werden Häuser renoviert. Die vielen Touristenpeso wirken sich aus; wenn auch noch gemäßigt. Doch die Abschottung Kubas war für uns als Besucher auch ein „Glücksfall". Lernten wir doch so ein Stück unverfälschter Welt kennen. Wer Kuba auch noch so erleben will, muss sich wahrlich beeilen. Beim nächsten Abflug vom Flugplatz Holguin könnte dort ein Spruch verschwunden sein, der dann die längste Zeit der Leitspruch dieses karibischen Paradieses gewesen ist: „Socialismo o Muerte".

 

Wir bereisten Kuba im Zeitraum  1997 - 2006 sechs mal